Rede von Dr. Thomas Köster anlässlich einer Veranstaltung des Kolpingwerks Landesverband NRW in Kerpen in Anwesenheit des Landesvorsitzenden Karl Schiewerling MdB, 13. Juli 2013Duale Berufsausbildung und Soziale Marktwirtschaft - eine Schicksalsgemeinschaft?

Das Kolpingwerk und das Handwerk sind in nahezu gleicher Weise vom Ehrenamt geprägt. Das Kolpingwerk mit all seinen Ebenen ist insbesondere in den Kolpingsfamilien ohne ehrenamtlich Engagierte gar nicht vorzustellen. Ohne das ehrenamtliche Engagement Tausender von Prüfungsausschussmitgliedern in den Handwerkskammern wäre das duale System der Beruflichen Bildung ebenso nicht möglich. Ohne Ehrenämtler in den Gremien der Kammern, der Gewerkschaften, der Kolpingsfamilien, der Verbände könnte die Soziale Marktwirtschaft nicht mit Leben erfüllt werden. Aber weder unsere duale Berufsausbildung noch die Soziale Marktwirtschaft sind einfach vom Himmel gefallen; sie mussten in einem mühsamen historischen Prozess erkämpft werden. Einige der Etappen möchte ich kurz vorstellen:

Dass für uns im Handwerk berufliche Bildung existentiell ist, bedarf keiner besonderen Hervorhebung. „Handwerk ist Qualifikation oder es ist kein Handwerk“ – Diese Aussage bringt die Identität des Handwerks auf den Punkt. Wir wollen eine Sache um ihrer selbst willen gut machen.

Nicht ganz so selbstverständlich war für uns früher das Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft. Wir haben Soziale Marktwirtschaft erst gelernt, als dem Handwerk im Zuge der Wachstumsperiode nach der Währungsreform 1948 die Geldstücke schon in der Tasche klimperten. Das Handwerk fasste damals Zutrauen zu Ludwig Erhard und über ihn auch zur Sozialen Marktwirtschaft. Erst unter den ZDH-Präsidenten Richard Uhlemeyer, Joseph Wild und Paul Schnitker (alle drei mit Ludwig Erhard eng verbunden) wurde dann die Soziale Marktwirtschaft zu der Wirtschafts- und Gesellschaftordnung auch des Handwerks.

Das Handwerk profitiert vom Wettbewerbskonzept der Sozialen Marktwirtschaft. Wettbewerb bestand hiernach nicht in einem Wettbewerb der Machtpositionen von Kartellen und Monopolen, sondern im freien Leistungswettbewerb möglichst vieler mittelständischer Betriebe von Handwerk, Handel und Gewerbe. Leistungswettbewerb war auch vereinbar mit Handwerksordnung und Großem Befähigungsnachweis, für die sich Ludwig Erhard einsetzte und die 1953 Gesetz wurden – ein historischer Erfolg für das Handwerk.

Die Soziale Marktwirtschaft ist eine Ordnung, die die Freiheit mit dem Prinzip des sozialen Ausgleichs verbindet. Sie ist sozial, weil sie produktiv ist und den Verbrauchern eine Güterfülle zur Verfügung stellt, wie es planwirtschaftlichen Systemen unmöglich ist. Die Soziale Marktwirtschaft ist darüber hinaus sozial, weil sie durch ihre Produktivität die erforderlichen Ressourcen für den sozialen Ausgleich und die Bewahrung der Schöpfung auch für künftige Generationen bereithält.

Die Soziale Marktwirtschaft ist auch deshalb sozial, weil sie Wohlstand für breite Bevölkerungsschichten schafft. „Wohlstand für alle“ – das war der Slogan von Ludwig Erhard. Das bedeutete zum einen Konsummöglichkeiten in einem Ausmaß, die früher nur für eine schmale Oberschicht realisierbar waren und zum anderen die Chance auf Sozialen Aufstieg für alle, die sich entsprechend anstrengten; Ergebnis war die Überwindung der Klassengesellschaft und das Erreichen eines gesellschaftlichen Zustandes, den der Soziologe Helmut Schelsky als „nivellierte Mittelstandsgesellschaft“ bezeichnet hat.

Die Chance auf Sozialen Aufstieg realisierte sich für große Teile unseres Volkes nur über unser duales System der beruflichen Bildung. Dessen Herzstück aber war und ist die Bildungsanstrengung des Handwerks – konkretisiert im Dreiklang von Lehrling, Geselle und Meister! Wie häufig ist das handwerkliche Qualifizierungssystem in der Vergangenheit bedroht gewesen.

Geselle ist, wer was kann
Meister ist, wer was ersann
Lehrling ist ein jedermann

Das war die Philosophie der handwerklichen Bildung für ein halbes Jahrtausend – zwischen dem hohen Mittelalter von 1250 und der französischen Revolution von 1789. Eine neue Habilitationsschrift einer Kölner Historikerin hat jetzt auf breiter empirischer Grundlage nachgewiesen, dass die historischen Zünfte über Jahrhunderte kein Instrument des Protektionismus und der Abschließung gewesen sind. Sie waren nicht Wachstumsbremse, sondern Wachstums-Motor und Katalysator der Freiheit durch Sturz der  Patrizier-Herrschaft in vielen Städten.

Damals – zur Blütezeit der Meisterlehre des Handwerks – gelang es, das Berufsethos des ehrbaren Handwerks herauszubilden. Erst der fürstliche Absolutismus ließ die Entwicklung abbrechen, da die Fürsten vor und nach dem 30jährigen Krieg die Zünfte zum Instrument der gewerkepolizeilichen Lenkung umfunktionierten. Diese Missstände waren dann der Anlass, dass die gemeinsame Gewerbeverfassung großer Teile Europas mit den Zünften als Herzstück – über 500 Jahre selbstverständliches Strukturmerkmal – durch den Feuersturm der französischen Revolution hinweg gefegt wurde: Weg mit der Meisterlehre und weg mit der gegenseitigen Stützung innerhalb der Berufsgemeinschaft gerade auch für Gesellen und Lehrlinge. Unter dem Zeichen der Freiheit wurden Strukturen beseitigt, die über Jahrhunderte freiheitssichernd gewirkt hatten. Eine beispiellose materielle und moralische Verelendung des Handwerks war die Folge.

Das war die Situation, die Adolf Kolping antraf und die er zum Ausgangspunkt seines gewaltigen Werkens nahm. Wenn in der Folgezeit bis auf den heutigen Tag die Strukturen des Handwerks in Deutschland, Österreich, Luxemburg, der Schweiz und Südtirol stärker überlebten und nicht wie z.B. in England fast  gänzlich verschwanden, so ist dies  wesentlich dem Eingreifen Adolf Kolpings in den entscheidenden Jahrzehnten nach 1850 zu verdanken. Adolf Kolping ist deshalb nicht nur der Gesellenvater sondern Vater des Handwerks überhaupt.

Bis auf den heutigen Tag stehen die unterschiedlichen Fronten ziemlich unversöhnlich gegeneinander! Da gibt es einmal das angelsächsische Berufsbildungsmodell, das geprägt ist durch „training on the job“, d.h. die  Vermittlung der für einen Job erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten am Arbeitsplatz. Hier treten immer stärker sog.  Qualifikations-Collagen anstelle der Ausbildung in voller Berufsfeldbreite in den Vordergrund. Der amerikanisch-britische Soziologe Richard Sennett charakterisiert dieses System wie folgt:  Nach der Logik dieses Systems brauchst Du nicht systematisch in Ausbildung zu investieren, sondern Du kaufst Dir fehlende qualifikationen irgendwo auf der Welt ein. In Sennetts Sicht ist dies der falsche Weg.

Da gibt es zum anderen das Südeuropäische Berufsbildungsmodell:  Die berufliche Ausbildung  erfolgt in Schulen. Dies führt zu  Praxisferne, veralteten Inhalten sowie schlechten Vermittlungschancen nach Beendigung der Ausbildung und zu hoher Jugendarbeitslosigkeit (In 20 von 28 EU-Mitgliedsstaaten liegt  die Jugendarbeitslosigkeit bei über 25 %). Da gibt es drittens das duale System der beruflichen Bildung in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Luxemburg.

  • Ausbildung im Betrieb in engem Konnex mit der Auftragserledigung für Kunden in einem anerkannten Beruf. Hier ist der Staat Regelsetzer und Schiedsrichter in Verbindung mit den Kammern der Wirtschaft.
  • Zusätzlich Unterrichtung an zumeist 2 Tagen in der Woche in Berufskollegs. Hier und nur hier ist der Staat Mitspieler.

Das duale System hat in seiner betrieblichen Komponente den unschlagbaren Vorteil, dass Wettbewerb und Marktnähe auf Ausbildungsprozesse durchschlagen. Das mindert die Schwelle beim Übergang von der Ausbildung in Beschäftigung und führt zu niedriger Jugendarbeitslosigkeit. Um dieses System beneidet uns die Welt! Delegationen pilgern nach Deutschland! Wenig ist so schlimm für ein Volk wie Jugendarbeitslosigkeit! Was liegt da näher, als dieses System auch in anderen Ländern einzuführen! Unser System setzt jedoch voraus, dass der Unternehmer es als sein Interesse erkennt, in die Qualifikation von Mitarbeitern zu investieren. Viele Patrone in südeuropäischen Ländern lehnen dies ab, weil qualifizierte Mitarbeiter aufmüpfig sein könnten.

Zum anderen setzt unser System voraus, dass der Unternehmer es ertragen kann, dass der von ihm Ausgebildete nach der Prüfung zur Konkurrenz wechselt. Wenn ausländische Gesprächspartner dies erfahren, erkaltet zumeist ihre Begeisterung für unser System. Sie übersehen dabei, dass Ausgebildete auch umgekehrt von der Konkurrenz zu uns wechseln können. Hier gibt es eine Umwegrentabilität, die erst einmal begriffen sein will. Für viele Handwerksmeister und Handwerksgesellen in Deutschland gehört Ausbilden zum kulturellen Code von Handwerk und Mittelstand.

Das duale System der beruflichen Bildung ist kongenial zum System der Sozialen Marktwirtschaft, da es in ähnlicher Weise wirtschaftliche Effizienz mit sozialem Ausgleich verbindet.Entscheidend ist, dass wir innerhalb unseres dualen Systems am Berufskonzept festhalten. Da sind wir auch einen tollen Reformweg gegangen. In den 80er und 90er Jahren dauerte es 10, 15 oder gar 20 Jahre bis eine neue Ausbildungsordnung erarbeitet war. Heute haben wir aufgrund eines beispielhaften Zusammenspiels der Sozialpartner mit dem Bundesinstitut für Berufliche Bildung hochmoderne Ausbildungsordnungen für ein sehr breites Interesse- und Begabungsspektrum junger Menschen.

Aber an den entscheidenden Konstanten, müssen wir festhalten. Wie heißt es bei Paulus: Prüfet alles und behaltet das Gute! Dazu gehört das Festhalten am Konzept des Berufes, der unverändert eine der wenigen persönlchen Sicherheiten darstellt, über die der Mensvh in den Krisen der modernen Gesellschaft verfügt.

Wir stehen jedoch auch vor besonderen Herausforderungen, denen wir uns in besonderer Weise widmen müssen:

  • Wie bekommen wir im Bereich der Versorgungs-, Elektro-, Metall- und Kraftfahrzeugtechnik ausgebildete Berufsschullehrer?
  • Wie können wir junge Menschen mit Abitur für unsere technischen Ausbildungsberufe begeistern?
  • Wie senken wir die zu hohen Abbruchquoten bei Lehrlingen und die zu hohen Durchfallquoten in der Gesellenprüfung.

Dies sind Baustellen, an denen wir heftig arbeiten müssen. Aber andere Länder im Süden Europas würden gerne unsere Probleme haben. Deshalb ist meiner festen Überzeugung nach das gesamte Handwerk aufgerufen, Beiträge zur Überwindung der Ausbildungs- und Berufsnot der Jugend in Südeuropa zu leisten. Vielleicht könnte das Konzept der seinerzeitigen Sonderausbildungsstätten ein Modell sein:

  • Im 1. Jahr Ausbildung in einer Überbetrieblichen Lehrwerkstätte bei nur 70% der Ausbildungsvergütung.
  • Dann Pflicht zum Überwechseln in einen Betrieblichen Ausbildungsplatz, wenn er angeboten werden kann, mit 100% Ausbildungsvergütung. Öffentliche (sich im Zeitablauf verringernde) Zuschüsse an Ausbildungsbetriebe nach dem Vorbild der früheren Riemer-Programme und dadurch allmähliche Schaffung  einer Ausbildungskultur des mittelständischen Wirtschaftssektors, der  dann immer stärker ohne öffentliche Subventionen für seine Ausbildungsarbeit  auskommen kann.

Das könnte ein Weg sein. Man muss ihn nur beschreiten. Und nicht denjenigen, die zukunftsfähige Berufsausbildung betreiben, auch noch Knüppel zwischen die Beine werfen. Genau das tut die EU, die an die deutsche Bundesregierung im Rahmen der europäischen Wirtschaftsregierung und des sogenannten europäischen Semesters blaue Briefe  schreibt, in denen Deutschland aufgefordert wird, seine Abiturienten- und Hochschulabsolventen-Quote auf über 40 Prozent zu steigern und gleichzeitig den qualifikationsgebundenen Gewerbezugang über das Meistersystem in Frage zu stellen. Wer das deutsche Meistersystem beseitigt, ruiniert das duale System der Beruflichen Bildung. Um auszubilden, benötigen wir Ausbilder! Ohne den Ausbildungsbeitrag der Meister und Gesellen des Handwerks ist das duale System der beruflichen Bildung gefährdet.

Welche Torheit: Weltweit wird das duale System gelobt und gleichzeitig wird versucht, seine Grundlage zu zerstören. Das wir das nicht zulassen dürfen, darin sind wir uns sicher alle einig. Der europäische Zentralisierungsfuror muss gestoppt werden, das Subsidiaritätsprinzip auf europäischer Ebene muss gestärkt und ein Wettbewerb unterschiedlicher Systeme auch der beruflichen Qualifizierung muss ermöglicht werden. Einem solchen Wettbewerb können wir uns mit sehr viel Selbstbewusstsein stellen. Soziale Marktwirtschaft und duales System der beruflichen Bildung sind aufeinander angewiesen. Ohne duale Bildung kann die Soziale Marktwirtschaft ihr Versprechen, Chancen auf sozialen Anstieg zu eröffnen, für breite Bevölkerungskreise nicht einlösen. Ohne Soziale Marktwirtschaft fehlt dem dualen System der beruflichen Bildung die erforderliche Ökonomische Grundlage.

Deshalb besteht zwischen Dualer Berufsausbildung und sozialer Marktwirtschaft eine Schicksalsgemeinschaft.

Köster Dr. Thomas HWK Düsseldorf

Dr. Thomas Köster

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