Schwerpunktthema "lebensnotwendig"Werkstatt 2021
Das Schwerpunktthema ist in diesem Jahr auch eine Reaktion auf die vielen Fragen, die durch die Corona-Pandemie aufgeworfen wurden, gleichzeitig aber eine grundsätzliche Annäherung an den Kern dessen, was Handwerk ausmacht. „Lebensnotwendig“, gewiss ein großes Wort, passt durchaus auf das, was wir unter Handwerk verstehen. Denn es berührt wesentliche Bestandteile unseres Lebens: Gesundheit. Bildung. Kultur. Würde. Genuss. Nachhaltigkeit.
Ist die „Werkstatt 2021“ noch die traditionelle Produktionsstätte? Ja und nein. Ob auf der Baustelle oder in der Backstube: Wir müssen künftig sicher darüber hinausdenken, wenn der auch gesellschaftlich wichtige, hohe Stellenwert des Handwerklichen erhalten, wiederbelebt und weiterentwickelt werden soll. Nicht zuletzt bei den drängenden Problemen und Zukunftsaufgaben, seien es Klimawandel, Energie und Mobilität, ökologisches Wirtschaften oder Chancengerechtigkeit in der Bildung, ist der Beitrag des Handwerks nicht hoch genug einzuschätzen. Beispiele finden wir in unserem direkten Umfeld: Es sind die Handwerkerinnen und Handwerker aus unserem Kammerbezirk, die uns auch in der siebten Auflage unserer „Werkstattberichte“ mit ihren Geschichten faszinieren. Sie erzählen vom Mut, zu Neuem aufzubrechen und Verantwortung zu übernehmen, von Durchhaltevermögen und überraschenden Wendungen, von Talent und verdientem Erfolg.
"Das Tempo war in der Corona-Krise unglaublich hoch!"
Frau Ludwigs Gespür für Sauberkeit
In einem Unternehmen des Gebäudereinigerhandwerks in Viersen stand das Jahr ganz im Zeichen der Corona-Krise.
"Clean" dürfte wohl des passende Adjektiv für ein Gebäudereinigungsunternehmen sein - und trifft auch auf den 2016 bezogenen Firmensitz von Ludwigs Gebäude-Service zu. Die Umgebung könnte kühl wirken, wäre da nicht das freundliche, offen-sympathische Naturell von Nadine Ludwigs. Und dabei bewältigt die studierte Wirtschaftsingenieurin wahrhaftig kein kleines Pensum: Geschäftsführung des Familienunternehmens gemeinsam mit ihrem Vater, Obermeisterin der Innung und Mutter von zwei kleinen Kindern; dazu noch Corona, das die Branche von einem Tag auf den anderen ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte. Ursprünglich wollte die 40-Jährige übrigens etwas ganz anderes machen - und hätte bei ihrer Neugier auf Unbekanntes fast das naheliegende übersehen. Beim Studium mit dem Schwerpunkt Reinigung- und Hygienemanagement kam ihr dann ihre Erfahrung aufgrund des familiären Backgrounds sehr zugute.
"Das gleiche Ziel zu haben, schweißt zusammen."
Wie geht's, wie stehts?
Warum zwei junge Orthopädieschuhmachermeister im Bergischen Land anderen gerne auf die Füße helfen …
Auf den ersten Blick könnten sie nicht unterschiedlicher sein: Patrick Berkel, groß, blond, ruhig und Volkan Midik, dunkler Vollbart, extrovertiert und quirlig. Zusammen bilden sie ein gutes Gespann, das sich lange genug kennt, um die Stärken des anderen (ein-)schätzen zu können. Als Orthopädieschuhmacher brauchen sie genau diese Vielseitigkeit für einen äußerst abwechslungsreichen Beruf: handwerkliches Können, Interesse an medizinischen Themen, Freude am Umgang mit Menschen und die Verlässlichkeit, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Ihre Bereitschaft, etwas zu wagen und - mitten in der Corona-Krise - ihren neuen Betrieb zu eröffnen, wurde belohnt mit einer guten Auftragslage bereits im ersten Jahr der Unternehmensgründung: Läuft bei ihnen!
"Ich wollte schon als kleiner Junge mit Holz arbeiten."
Klare Kante
Ein Zimmerermeister in Mülheim an der Ruhr setzt konsequent auf ökologischen Holzbau.
„Für einen relativ kleinen Anbieter sind wir sehr modern ausgestattet und bieten einen hohen Vorfertigungsgrad.“ Die Firma Siepmann baut etwa 10 Häuser im Jahr – die größten in der Branche kommen auf mehrere hundert. Dennoch: „Klein“ ist gewiss nicht der erste Eindruck beim Blick in die Fertigungshalle. Die übrigens selbst gebaut ist. Viel Holz kam auch hier als Baustoff zum Einsatz. „Holz kann mehr Belastung aufnehmen, in Relation zum Eigengewicht“, erläutert Uwe Siepmann. Alles, was der Handwerksunternehmer sagt, scheint Hand und Fuß zu haben. Und er hat zu vielen Dingen seine ganz eigene Meinung – typisch Ruhrgebiet. Klare Worte verspricht er auch seinen Kunden, und Phantasiepreise für Immobilien lehnt er ab. In einer kleinen Ausstellung im Bürotrakt informiert der Holzbau-Fachmann über Dämmstoffe oder Fußbodenaufbau. Er weiß: Seine Kunden bringen Interesse für Material und Technik mit. Kontakte zu potentiellen Bauherren knüpft er beispielsweise auf Messen wie der „Fair Friends“ in Dortmund. Im letzten Jahr war der Holzbau-Anteil in Deutschland erstmals zweistellig. Noch viel Luft nach oben also, meint Siepmann. Und macht sich an die Arbeit, das zu ändern.
"Ich gehe erst, wenn die Arbeit erledigt ist."
Ende gut, alles gut
Wie sich ein Hildener Fleischermeister, einst vor Kriegswirren aus dem Kosovo geflohen, mit Halal-Spezialitäten einen Namen gemacht hat.
Eine bewegende Fluchtgeschichte mit Happy End: Nachdem Faton Cizmolli mit seiner Familie den Kosovo verlassen hatte, musste er einige dramatische Situationen überstehen, bevor er schließlich im Rheinland eine neue Heimat und wieder zu beruflicher Selbstständigkeit fand. – Ein guter Zeitpunkt, um sich zufrieden zurückzulehnen? Dafür ist er nicht der Typ! Lieber ist der Fleischermeister zusätzlich zum „normalen“ Geschäft mit dem perfekt ausgestatteten Verkaufswagen auf zwei großen Märkten in Köln und Essen unterwegs, um seine Spezialitäten anzubieten. Viel Fleiß, Zusammenhalt in der Familie und Durchhalteveremögen haben Faton und Dhurata Cizmolli dorthin gebracht, wo sie nun stehen: als selbstständige Handwerksunternehmer, die erfolgreich in ihrem Beruf arbeiten. Damit nicht genug: Auch Tochter Sanije hat diesen Weg eingeschlagen und bereitet sich auf die Meisterprüfung vor.
"Selbstständigkeit ist das gute Gefühl, etwas zu schaffen, etwas ganz Eigenes aufzubauen."
In ungeahnten Höhen
Wenn der Weg nur nach oben führt: ein Brüderpaar aus Neuss im Gerüstbauhandwerk.
Was mit der Frage "Bist du eigentlich schwindelfrei?" vor 40 Jahren begann, hat sich zu einem florierenden Unternehmen entwickelt. Diese Frage wurde Gerd Henrich, damals noch Student, von seinem Vater gestellt, verbunden mit dem Vorschlag, einen alteingesessenen Gerüstbaubetrieb zu übernehmen. Obwohl "Quereinsteiger", ergriff der junge Mann die Gelegenheit und hat es bis heute nicht bereut. Inzwischen führen er und sein jüngerer Bruder Rolf das Unternehmen Theodor Kaiser Gerüstbau, das mit rund 80 Mitarbeitenden zu den größeren in der Region gehört. In einer Branche, in der hohe Fluktuation üblich ist, gelingt es dem Brüderpaar, viele Mitarbeiter langfristig an den Betrieb zu binden. Ausbildung wird groß geschrieben. Und mit den Kindern der beiden Geschäftsführer steht auch die nächste Generation schon in den Startlöchern - die beiden müssen also einiges richtig machen.
"Für mich ist Brotbacken beides: Handwerkskunst und Leidenschaft."
Das alltägliche Glück
„Natürlich schmeckt’s am besten“ lautet die Devise bei den Handwerksbäckern eines Grevenbroicher Familienbetriebs.
Hendrik Herter ist das, was man ein Naturtalent nennen könnte, in zweifacher Hinsicht. Das Bodenständige und Ehrliche nimmt man ihm sofort ab - und es dürfte nicht ganz unschuldig an dem Erfolg sein, den er auch mit seinem Auftritt in den sozialen Medien hat. Zum anderen steht Natürlichkeit an erster Stelle, wenn es um die Produkte der Familienbäckerei am Niederrhein geht. Damit passen Junior Hendrik und Vater Christof Herter gut in die Zeit. Bei Vielen hat ein Umdenken eingesetzt, und mehr und mehr Menschen werden sich darüber klar, dass sie Lebens-Mittel wollen, die diesen Namen auch verdienen.
"Ausbildung hat bei uns einen hohen Stellenwert."
Auf lange Sicht erfolgreich
Viele Aufgaben – ein Team: Ein alt eingesessenes Augenoptik-Unternehmen in Wuppertal engagiert sich vorbildlich für Ausbildung, Ehrenamt und mehr.
Typisch Handwerk: Zusätzlich zum Tagesgeschäft muss noch vieles andere gestemmt werden - von der Ausbildung über die kaufmännische Betriebsführung bis zur Kundenbetreuung. Aber damit nicht genug. Häufig übernehmen Handwerkerinnen und Handwerker ehrenamtliche Aufgaben. Sie engagieren sich in Prüfungsausschüssen und Innungsvorständen und tun außerdem noch etwas fürs Gemeinwohl, sei es in der Stadtentwicklung oder beim Sportsponsoring. So ist es auch bei Simone Arlt und Matthias Zenker, die ein Team von sieben Mitarbeiterinnen führen. Simone Arlt kennt es nicht anders - schon für ihre Mutter war es es eine Selbstverständlichkeit, als Unternehmerin tätig zu sein - in einer Zeit übrigens, als dies für Frauen noch höchst ungewöhnlich war. Alles vor dem Hintergrund, nicht nur auf den kurzfristigen Erfolg zu schauen, sondern Betrieb und Beruf durch die Ausbildung von eigenen Fachkräften langfristig zu sichern.
"Wir möchten Mut machen, die Trauer auszuleben - und sich dem Leben wieder zu öffnen."
Dem Leben zugewandt ...
Überraschende Erkenntnisse im Gespräch mit einem Bestattermeister am Niederrhein.
Dieser Bestatter entspricht so gar nicht der Vorstellung des altmodischen Berufsbildes. Michael Keunecke zeigt sich Gespräch freundlich und ruhig, aber auch selbstbewusst und ungewöhnlich offen bei den "letzten Fragen". Von ihm kann man viel lernen, was den Umgang mit dem Tod angeht. In einer Gesellschaft, die das Thema gerne an den Rand drängt und nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie schmerzlich daran erinnert wurde, dass Menschen ein Teil des natürlichen Kreislaufs von geboren werden, leben und sterben sind, hat dies etwas Befreiendes.
"Eine Orgel klingt immer einzigartig, angepasst an den Raum, in dem sie steht."
Kulturbetrieb
Momentaufnahme: Wie eine Orgel entsteht. Zu Besuch in der Werkstatt eines Mönchengladbacher Orgelbaumeisters.
Es kommt nicht von ungefähr, dass das Orgelbauhandwerk im Jahr 2020 wieder meisterpflichtig geworden ist und der Orgelbau 2018 in das Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen wurde. Zudem war die Orgel 2020 "Instrument des Jahres" ... Menschen, die dieses Handwerk ausüben, nötigen Respekt ab. Menschen wie Martin Scholz, der seit 30 Jahren als selbstständiger Orgelbaumeister Orgeln nicht nur restauriert, sondern mit seinem Team, darunter Orgelbauer, Tischler und Modellbauer, auch aufwändige Neubau-Projekte umsetzt. Wie die "Königin der Instrumente" entsteht, zeigt der aktuelle Bau einer großen Orgel für die Erkelenzer Kirche St. Lambertus. Musikalität und handwerkliches Können gehen bei diesem Beruf eine faszinierende Verbindung ein.
Werkstatt 2021
Online-Geschäftsbericht
8.812
Beratungen
4.000
Ehrenamtliche
250
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
59.873
Mitgliedsunternehmen
5.893
Teilnehmende Fort- und Weiterbildung
2,37 Millionen €
Investitionen in Gebäude
Geschäftsklima im Kammerbezirk Düsseldorf
Die Entwicklung des Geschäftsklimaindexes seit 2007 zeigt deutlich die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise wie auch der Corona-Pandemie.
"Unsere Betriebe haben – mit wenigen Ausnahmen – die Situation gut bewältigt, weil sie die klassischen Stärken des Mittelstands unter Beweis gestellt haben: Flexibilität, Innovationskraft und die Bereitschaft, neue Wege zu gehen."
Andreas Ehlert, Präsident der Handwerkskammer Düsseldorf