
Bestattermeisterin Jessica Beitzel. Der Garten verbindet Bestattungshaus und Abschiedsraum und steht den Angehörigen ebenfalls offen.
BetriebsnachfolgeDas Geheimnis des (Übernahme)Erfolgs
Mit zwei kleinen Kindern und Hausbau noch eine Betriebsübernahme anzugehen – das klingt nicht nach jemandem, der Herausforderungen scheut. Und doch bezeichnet sich Jessica Beitzel, 33 Jahre, selbstständige Bestattermeisterin, als vorsichtigen Menschen. Eine gute Voraussetzung für die Selbstständigkeit, denn zu viel Risikofreude schmälert die Erfolgsaussichten als Gründerin oder Übernehmerin. Die fehlende Risikobereitschaft von Frauen, oft ins Feld geführt, wenn es darum geht, dass sie seltener gründen, taugt also kaum als Erklärung dafür, dass die Zahlen nach wie vor unter denen der Männer liegen und auch im Vergleich mit anderen Wirtschaftszweigen niedriger sind. (Immerhin: Der Anteil der von Frauen geführten Unternehmen im Handwerk stieg zuletzt an, auch der Anteil der Nachfolgerinnen wuchs 2021 auf 22 Prozent.) Gibt es vielleicht so etwas wie ein „Unternehmerinnen-Gen“ für den zweifellos mutigen Schritt in die Selbstständigkeit? Oder ist doch viel vom Zufall abhängig? Bei Jessica Beitzel trifft wohl beides zu. Glückliche Fügung auf der einen, konsequente Weiterentwicklung auf der anderen Seite. Und beim Thema „Nachfolge“ die Erkenntnis, dass trotz einiger Stolpersteine oder Schwierigkeiten am Ende eine erfolgreiche Übernahme stehen kann …
In der Jugend – sehr gute Schülerin eines Gymnasiums, Mutter gelernte Erzieherin und als Leiterin der Familienbildung der Diakonie in Neuss, Vater im IT-Bereich tätig – deutete erst einmal nichts darauf hin, dass Jessica den Beruf der Bestatterin ergreifen würde. Kurzzeitig gab es sogar den Wunsch, Pilotin zu werden – oder Hebamme. Als sie im Teenageralter keine Lust auf die Schule hatte, sagte ihr Vater aus Spaß: „Mach‘ doch eine Ausbildung bei Herrn Odenthal.“ Das war der Bestattermeister, der zufällig in der Nähe ihres Neusser Elternhauses wohnte. Was als kleine Frotzelei am Mittagstisch begann, nahm jedoch rasch Formen an, denn „gerade, weil es mir niemand zuzutrauen schien – ich war ein bisschen schüchtern – habe ich mir gesagt: Ich mache ein Praktikum!“ erzählt Jessica Beitzel. Und tatsächlich hat sie ihr Vorhaben in die Tat umgesetzt. Das Ferienpraktikum hat ihr dann so gut gefallen, dass sie den Entschluss fasste, von der Schule abzugehen und eine Ausbildung im Bestattungshaus zu beginnen. Wie sich herausstellen sollte, die richtige Entscheidung.
Neugierig bleiben
Die Ausbildung dauerte von 2005 bis 2008, dann ging es Schlag auf Schlag: Bei der Gesellenprüfung bereits auf Kammer-, Landes- und Bundesebene als Beste ausgezeichnet, erhielt die Nachwuchs-Handwerkerin Begabtenförderung und startete bald auch mit der Meisterfortbildung, die sie 2012 ebenfalls als Jahrgangsbeste abschloss. Ihr Wissen setzt Beitzel heute als Dozentin in der Aus- und Weiterbildung (Trauerpsychologie sowie Aufbahrung und Dekoration) und als Mitglied im Prüfungsausschuss ein. Mit diesen zusätzlichen Aufgaben ist sie eigentlich mehr als gut ausgelastet. Dennoch möchte sich die 33-Jährige auch selbst weiterbilden, um als Trauerbegleiterin Familien noch intensiver begleiten zu können. Das Aufgabengebiet, versichert sie glaubhaft, sei sehr umfangreich – und Neugier und Wissensdurst auch nach gut 17 Jahren im Beruf nicht gestillt.
Sie liebt den Austausch mit anderen – seien es nun Schülerinnen und Schüler, Prüflinge oder Dozenten. Dabei könne man immer voneinander lernen: „Ich treffe auf so viele engagierte Menschen.“ Aufgrund der Verbandsstruktur bei den Bestattern erstrecken sich diese Kontakte auf ganz Deutschland. „Aus Prinzip halte ich es für gut, nach links und rechts zu schauen, um nicht in eingefahrenen Bahnen stecken zu bleiben“, meint die Bestattermeisterin. Deshalb ermuntere sie auch ihre Mitarbeitenden, Ideen zu äußern.
Wer in dem Beruf Fuß fasst, so Beitzel, muss seinen individuellen Weg finden zwischen mitfühlen und sich abgrenzen. Sie selbst sei sehr kommunikativ, („Ich rede viel“) und habe den großen Vorteil, dass ihr Mann, weil er ebenfalls in diesem Bereich arbeite, „versteht, wovon ich spreche.“ Für die trauernden Familien alles möglich zu machen, was diese brauchen, sei mit Stress verbunden, aber auch mit Selbstwirksamkeit: „Ich kann etwas tun, nämlich den Abschied für die Angehörigen so persönlich und so schön wie möglich zu gestalten.“
Zufälle und Pläne
Jessica Beitzel ist freundlich, aber nicht aufdringlich, bei aller Professionalität wirkt sie erfrischend normal. Man kann sich sofort vorstellen, dass man ihre Anwesenheit als wohltuend empfindet, wenn man in der schwierigen Situation nach einem Trauerfall zu ihr kommt. Die Einrichtung des Beratungsraumes mit warmen Farben, zurückhaltender Möblierung und freiem Blick in den Garten unterstützt den Eindruck. Das Bestattungsunternehmen liegt in einem Wohngebiet in Dormagen und ist in einem Einfamilienhaus untergebracht. Besprechungszimmer und Büros sind auf Erdgeschoss und obere Etage verteilt. Im hinteren Teil des Grundstücks, an den Garten anschließend, gibt es einen Abschiedsraum. Dort befinden sich auch die Räume zur Versorgung der Verstorbenen.
Die Unterschriften, die sie zur Inhaberin von „Bestattungen Hüsgen“ machten, setzte Beitzel gemeinsam mit ihrem Mann im Mai dieses Jahres unter die Verträge. Dieser letzte Schritt, verbunden mit etwas Herzklopfen, wie die Jung-Unternehmerin offen zugibt, besiegelte den Übergabe-Prozess. Fast 10 Jahre zuvor, kurz nach ihrer Meisterprüfung, hatte Jessica Beitzel die damalige Leiterin des Unternehmens, Barbara Hüsgen, kennengelernt – durch Zufall: „Wir hatten direkt eine Wellenlänge, und ich dachte noch: ‚Schade, dass dort keine Stelle frei ist.‘“, lacht sie heute. Mitte 2015, einige Monate nach der Geburt ihrer ersten Tochter, ergab es sich, dass eben dieser Betrieb eine Aushilfe suchte. Beitzel stieg mit ein paar Stunden ein und steigerte mit der Zeit die Arbeitszeit. Verantwortung und Mitarbeiterzahl wuchsen, die „Wellenlänge“ blieb, und am Ende war man sich einig: Das Unternehmen sollte an Jessica Beitzel und ihren Mann Dennis, der inzwischen auch in den Betrieb eingetreten war, übergehen.
Die Entscheidung fußte auf mehreren Überlegungen: Hüsgen betrieben zu diesem Zeitpunkt zwei große Betriebe, neben dem Bestattungshaus noch eine Tischlerei, die unter der Leitung von Rolf Hüsgen auch heute weiterläuft. Beide Betriebszweige konnten und wollten sie nicht weiterführen, in der Familie gab es keine potentiellen Nachfolger, und das gegenseitige Vertrauen zwischen der Chefin und ihrer Mitarbeiterin bildete eine solide Basis für den anstehenden Übergabeprozess. Ein großer Vorteil: Von Anfang an stand Beitzel als Nachfolgerin fest („Wenn wir das machen, dann nur mit dir“); sie vertrat die Inhaber zum Beispiel während Urlaubszeiten. Der Zeitplan sah 2024 als Datum der Übergabe vor; in einem ersten Schritt erfolgte 2019 die Trennung der beiden Firmen.
"Ich bin von meinem Naturell eigentlich eher vorsichtig."
(Jessica Beitzel)
Dann gab es eine Planänderung – die Inhaber konnten sich vorstellen, früher aufzuhören. Plötzlich rückte das Jahr 2021 in das Blickfeld. Und damit der Faktor Zeit, der nicht zu unterschätzen sei, so Beitzel. Denn es kam in Folge immer wieder zu Verzögerungen. Der Businessplan, den sie ganz ohne Hilfe schrieb, fand bei den Banken großen Anklang. Mit ihrem Konzept und ihrer Persönlichkeit konnte sie überzeugen, und auch bei der Firma sahen die Finanzfachleute keine Probleme. Trotzdem wurde das Vorhaben zunächst abgelehnt. Der Grund: Beim privaten Hausbau war die inzwischen 4-köpfige Familie schlecht beraten worden. Als schließlich ein Geldinstitut gefunden war, tat sich beim Thema „Sicherheiten“ ein neues Hindernis auf, mit dem die Beteiligten nicht gerechnet hatten: Die Bürgschaftsbank, die inzwischen mit ins Boot geholt worden war, sah den vereinbarten Preis als zu hoch an. Da hieß es Nachverhandeln mit den Eigentümern bzw. Übergebern. Ein heikler Punkt, der viele Übergaben scheitern lässt, wie auch HWK-Betriebsberater Kai Hambüchen bestätigt. Den Familien Beitzel und Hüsgen kam hier zugute, dass man „immer ehrlich miteinander war.“ So wurde auch diese Klippe gemeistert. Zum Schluss wurde Jessica Beitzel übergangsweise als Betriebsleiterin eingestellt, um die knapp werdende Zeit zu überbrücken. Im Frühjahr 2022 konnten die neuen Eigentümer schließlich auch den Rest ordnungsgemäß abwickeln wie etwa Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter informieren oder Pfarreien, Friedhöfe und Lieferanten unterrichten.
Und heute, gut ein halbes Jahr später? Das Unternehmen ist – auch personell, mit 3 Vollzeitkräften (davon 2 Bestattungsfachkräfte), einer weiteren Teilzeitkraft, 2 Auszubildenden und 6 Aushilfen – solide aufgestellt. Was dazu beigetragen hat? Da muss Beitzel nicht lange überlegen: „Frau Hüsgen hat mich immer sehr unterstützt.“ – und auch ihre Eltern, ihr Freundeskreis oder Wegbegleiter aus dem Meisterkurs haben ihr viel zugetraut. An erster Stelle stand wohl der Ehrgeiz, sich weiterzuentwickeln. Als Angestellte habe sie auf lange Sicht nicht die Möglichkeit gehabt, ihre eigenen Vorstellungen zu verwirklichen. Die Lehren aus der geglückten Nachfolge: Jessica Beitzel rät dazu, das komplexe Gebilde aus Finanzierung, Förderung, personellen, rechtlichen und zwischenmenschlichen Einflussfaktoren nicht zu unterschätzen und Beratung durch unabhängige Stellen wie die HWK frühzeitig in Anspruch zu nehmen. Ein gutes persönliches Netzwerk helfe dabei, sich auch durch kleine Rückschläge nicht entmutigen zu lassen.