Andreas Ehlert
HWK Düsseldorf

Andreas Ehlert: Sternstunde der politischen Mitte

Kammerpräsident zieht im Interview mit Handwerkskammer aktuell eine positive Zwischenbilanz zur Soforthilfe von Bund und Land und blickt nach vorne.



Wie gut hat das Soforthilfeprogramm von Bund und Land fürs Handwerk funktioniert?

Andreas Ehlert: In den ersten sechs Tagen nach Freischaltung des Antragsformulars waren im Regierungsbezirk über alle Wirtschaftssektoren hinweg 120.000 Anträge gestellt und bereits 114 000 bewilligt worden. Wir gehen davon aus, dass mindestens ein Viertel unserer Betriebe – also 15.000 bis 20.000  – die Soforthilfe unbedingt notwendig hatten, und in diesem Umfang auch beantragt und Geld erhalten haben.

Diese Größenordnung fürs Handwerk legt auch der Umstand nahe, dass unsere 20 Betriebs- und Rechtsberater innerhalb der ersten anderthalb Wochen nach Programmstart 6000 Handwerksbetriebe bei der Antragstellung unterstützt haben.

Die Auszahlung lief sehr schnell und reibungslos; die Rückmeldungen aus den Unternehmen waren in Summe sehr positiv. Die Politik in Bund und Land hat schnell und konsequent gehandelt, eine exzellente Leistung hat auch die Bezirksregierung erbracht. Und einfach nur stolz bin ich auf unsere Beratungsprofis hier in der Kammer, die hochprofessionell eine unglaubliche Menge an Fragen und Unsicherheiten aus den Reihen der Betriebe aufgefangen haben. Ich spüre hier wie überall einen großen Verantwortungssinn. Darauf bin ich stolz. Das ist jetzt die Stunde der politischen Mitte. Vielleicht erwächst daraus am Ende auch eine neue Ernsthaftigkeit der Politik – und neues Vertrauen der Bürger in die politischen Institutionen. Dann könnten wir sogar gestärkt aus dieser Krise hervorgehen.



Für welche Handwerksbranchen war die Entlastung durch Zuschussmittel besonders dringend?

Die drastischen Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus haben mittlerweile nahezu jeden Handwerksbetrieb in Mitleidenschaft gezogen. Besonders hart trifft es unsere Ladenhandwerke, unsere Friseure und Kosmetiker, die komplett schließen mussten; das sind kammerweit alleine 9.600 Unternehmen. Aber auch unsere Lebensmittelhandwerke oder die Gesundheitsberufe, also zum Beispiel unsere Augenoptiker und Hörgeräteakustiker haben die Beschränkungen hart zu spüren bekommen.

Außerdem stehen die Kfz-Werkstattunternehmen mit angeschlossenem Autohandel jetzt vor einem besonders Liquiditätsengpass, weil sie im Spätwinter die Fahrzeuge für das Frühjahrs- und Sommergeschäft bezogen und bezahlt haben, die jetzt auf Halde stehen. Und für die Zulieferer und Ausrüster für den gewerblichen Bedarf im Metall-, Maschinen-, Anlagen- und Apparatebau drohen im Sog der industriellen Krise jetzt Risse in den Lieferketten.

Quarantänemaßnahmen, Lieferengpässe und Nachfragerückgänge können darüber hinaus aber jeden Betrieb in jeder Handwerksbranche existenziell treffen. Man muss es so deutlich sagen: Wir stecken in der schwersten Wirtschaftskrise in der Geschichte unseres Landes. Das war eine Vollbremsung ohne Bremsweg.



Welche Maßnahmen fehlen?

Die Soforthilfe der Betriebe bis 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Solo-Selbständigen ist sinnvoll und wirksam. Viele Betriebe waren von dem einen auf den anderen Tag nicht mehr in der Lage, laufende Verpflichtungen zu begleichen. Und die verlorenen Umsätze sind oft nicht nachholbar, etwa bei den Friseuren.

Sehr gut ist, dass NRW mit eigenen Mitteln die Lücke für Betriebe mit 10-50 Beschäftigten geschlossen hat. Probleme gibt es bei Betrieben mit mehr als 50 Mitarbeitern. Hier ist eine vorübergehende 100%ige Risikoübernahme für KMU für Kredite der KFW sowie die Heraufsetzung der Höchstlaufzeit deren Darlehen auf zehn Jahre unabdingbar, um diesen größeren Unternehmen mit hohen Fixkosten die Liquidität langfristig zu erhalten.

Darunter sind viele Betriebe, gerade im Bau- und Ausbaubereich, die derzeit noch bestehende Aufträge abarbeiten. Sie könnten verzögert in Liquiditätsschwierigkeiten geraten. Hilfreich wäre deshalb auch eine Verlängerung der Antragsfrist für Soforthilfe über Ende Mai hinaus.

Eine andere, gravierende Lücke besteht außerdem noch bei Unternehmen, die nach dem 01.01.2020, aber vor Beginn der Krise gegründet haben. Hier ist ganz starker Handlungsbedarf, da diese Betriebe keinerlei Rücklagen erwirtschaften konnten. Sie sind momentan völlig mittellos.



Welche Auswirkungen sehen Sie auf den handwerklichen Arbeits- und Ausbildungsmarkt?

Noch ist der Eingang neu abgeschlossener Ausbildungsverträge stabil. Sie entspricht den Zahlen aus 2019.

Die Betriebe haben allerdings derzeit so große Sorgen um Ihren eigenen Fortbestand, dass das Thema Ausbildung in den Hintergrund zu rücken droht.  Entscheidend ist, wie lange die Ausnahmesituation anhalten wird. Wir setzen alles daran, zu vermeiden, dass es aufgrund von Insolvenz und Betriebsschließungen zu Vertragsauflösungen kommt.

Es gibt aber auch positive Aspekte: Insgesamt nehme ich eine gestiegene Wertschätzung des Handwerks wahr. Das Handwerk ist für das Funktionieren unseres Lebens unverzichtbar. Viele Handwerke sind systemrelevant und Teil des Krisenmanagements: Elektro, SHK, Textilreiniger, Gesundheitsgewerbe oder Bestatter.



Wann ist es geboten, dass Einschränkungen aufgehoben oder heruntergefahren werden?

Für mich gilt unverändert: Gesundheit hat höchste Priorität. Je konsequenter jetzt die Maßnahmen und Regeln befolgt werden, desto früher sind Lockerungen möglich. Wir müssen jetzt die notwendigen Maßnahmen solidarisch durchstehen.

Gleichzeitig müssen wir prüfen, unter welchen Regeln und Vorsichtsmaßnahmen Handel und Ladenhandwerke schrittweise wieder öffnen können. Dafür brauchen wir kleine Schritte in Richtung Normalität, ohne den Gesundheitsschutz zu vernachlässigen. Überall dort, wo es verantwortbar ist.

Das könnten kontrollierte Lockerungen der Schließungen unter Beachtung von Hygieneauflagen sein. In anderen Ländern dürfen Buchhandlungen, Fahrradläden oder Optiker generell geöffnet sein, das müsste auch in NRW möglich sein.

Darüber hinaus gibt es eine klare Erwartung an die öffentliche Hand als Auftraggeber. Jetzt sollten schnell Arbeiten an das Handwerk vergeben werden und die Rechnungen im Übrigen auch sofort bezahlt werden. Nichts lässt sich einfacher sanieren als verkehrsarme Straßen oder geschlossene Schulen und Hochschulen. Das wäre ein erstes Signal der Ermutigung, das den Weg aus der Krise hinausweist!

Wir brauchen aber auch private Aufträge. Es kostet unsere öffentlichen Haushalte nichts, wenn z.B. durch schnellere Baugenehmigungen, Verwaltungsdienstleistungen wie Kfz-Zulassung o.ä. private Auftraggeber beschleunigt Aufträge erteilen können.

Um die Wirtschaft wieder nachhaltig zu beleben, brauchen wir nachhaltige kräftige Konjunkturimpulse und liquiditätsfördernde Maßnahmen: Die Senkung der Mehrwertsteuer hätte eine breite Wirkung für den Konsum; die Senkung der Einkommensteuer würde die inhabergeführten Betriebe sinnvoll entlasten.